Als sich proNeubritz für einen Stolperstein für Sigurd Franzke entschied, war nur der Name des Opfers bekannt und das er Verfolgter nach dem durch die Nazis verschärften § 175 StGB war, also
homosexuell.
Bei der Suche nach mehr Informationen in Archiven, Museen und Gedenkstätten stellte sich heraus, das Franzke bereits 1932 in die „NSBO“, einer betrieblichen Organisation für Mediziner der Nazis
und 1933 in die SS eingetreten war. Er war also Teil und Täter des NS-Regimes. Eine Beziehung zu einem Kameraden wurde ihm aber zum Verhängnis. Im März 1939 wurde er verhaftet und wegen
„widernatürlicher sexueller Neigung“ zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Oktober 1940 wurde er erst in das KZ Sachsenhausen deportiert und dann 1941 nach Groß Rosen im heutigen Polen. Von dort
aus wurde er in die Tötungsanstalt der „Aktion T4“ nach Bernburg verbracht, wo er am 26. März 1942 vergast wurde. So wurde er vom Täter zum Opfer.
Als Gunter Demnig von der Biografie von Sigurd Franzke erfuhr, bat er sich zunächst Bedenkzeit aus. Im Sommer letzten
Jahres signalisierte der Künstler in einem persönlichen Gespräch, dass er den bereits angefertigten Stein verlegen würde, wenn der Verein proNeubritz das wünschte und im Herbst teilte das Museum
Neukölln mit, dass der Stolperstein für Sigurd Franzke im März 2015 auf die Liste der zu verlegenden Stolpersteine kommt. Zudem wurde im Veranstaltungskalender des Museums für den 19. März 2015
zu einer Diskussion zum Thema “Vom Täter zum Opfer? Ein Stolperstein für Sigurd Franzke. SS-Mitglied und homosexuell. Über die Definition des Opfers im Kontext des Gedenkens” eingeladen.
Am 8. Januar 2015 wurde proNeubritz mitgeteilt, dass sich Gunter Demnig umentschieden hat und den Stolperstein für Sigurd Franzke doch nicht verlegen will, weil ein Stolperstein nicht ausreiche,
um auf die Täter-Opfer-Dimension im Fall Franzke hinzuweisen. Die geplante Veranstaltung wurde am 19. Januar 2015 offiziell wieder abgesagt.
Der Verein proNeubritz nimmt den Rückzug von Gunter Demnig mit Bedauern zur Kenntnis und respektiert die Entscheidung des Künstlers. Allerdings weist der Verein darauf hin, dass es bereits ein
Kriegsopfergrab für Sigurd Franzke auf dem Friedhof Koppelweg gibt und er damit bereits in früheren Jahren als Opfer anerkannt wurde. Gerade mit einer Ehrung eines Opfers „aus den eigenen Reihen“
könnte so manchem Neonazi klar gemacht werden, dass die Menschenverachtung der Nationalsozialisten selbst vor eigenen Leuten nicht halt machte.